AG Wegner (Lehrstuhl 2)
Lehrstuhl für Biochemie und Pathobiochemie
Leitung:
Prof. Dr. rer. nat. Michael Wegner
Institut für Biochemie
Lehrstuhl für Biochemie und Pathobiochemie (Prof. Dr. Wegner)
- Telefon: +49 9131 85-24620
- E-Mail: michael.wegner@fau.de
Gliazellen und Neurone entstehen gemeinsam aus neuroektodermalen Stammzellen. Ob eine Zelle zur Gliazelle oder zum Neuron wird, entscheidet sich früh in der Entwicklung. Nach der Determinierung teilt sich die Zelle in der Regel noch für einige Zeit, bevor sie in der terminalen Differenzierung die für sie typischen Eigenschaften erhält.
Meine Arbeitsgruppe identifiziert und charakterisiert transkriptionelle Regulatorproteine, die an der Determination und Differenzierung neuraler, insbesondere glialer Zellen während der Entwicklung des Säuger-Nervensystems beteiligt sind. Die Arbeiten konzentrieren sich mit Sox Proteinen, POU-Domänen Proteinen auf drei Transkriptionsfaktorfamilien und sollen zu einem besseren Verständnis von Entwicklungsdefekten, Tumorigenese und regenerativen Prozessen im Nervensystem führen.
An transgenen Tiermodellen haben wir die Funktion der drei nahe miteinander verwandten Sox-Proteine Sox8, Sox9 und Sox10 während der Entwicklung des Nervensystems bestimmt. Wir konnten zeigen, dass das bei Campomelischer Dysplasie betroffene und für seine Beteiligung an der Knochenentwicklung bekannte Sox9 auch in den Stammzellen des peripheren und zentralen Nervensystems vorkommt. Im zentralen Nervensystem setzt die Sox9-Expression ein, kurz bevor die neuralen Stammzellen aufhören, Nervenzellen zu bilden, und mit der Herstellung von Gliazellen beginnen. Sox9 ist essenziell für die Gliogenese, so dass im Sox9-defizienten zentralen Nervensystem die Determination beider Haupt-Gliazelltypen gestört ist und statt Oligodendrozyten und Astrozyten überzählige Nervenzellen gebildet werden.
Sox10 wird zunächst in den Zellen der Neuralleiste und ihren Derivaten exprimiert. Während späterer Phasen erfolgt eine Eingrenzung auf die Gliazellen des peripheren Nervensystems. Zu dieser Zeit beginnt auch im Zentralnervensystem die Expression selektiv in Oligodendrozyten-Vorläuferzellen. Zeitlich setzt die Expression von Sox10 nach der von Sox9 ein. Im adulten Zentralnervensystem ist Sox10 dann in den reifen Myelin-bildenden Gliazellen, den Oligodendrozyten, zu finden, die nicht mehr Sox9 exprimieren. Mutation oder Deletion des Sox10-Gens führt zu Störungen der Neuralleistenentwicklung. In unserem Labor hergestellte Sox10-defiziente Mäuse sind nicht lebensfähig und weisen im gesamten peripheren Nervensystem einen Verlust sämtlicher Gliazellen auf. Melanozyten und Zellen des enterischen Nervensystems fehlen ebenfalls. Die Entwicklung der Oligodendrozyten im zentralen Nervensystem hingegen ist erst auf Stufe der terminalen Differenzierung gestört, und die Myelinisierung unterbleibt. Im heterozygoten Zustand sind die Mäuse lebensfähig, weisen aber eine Kombination von Pigmentstörungen und Aganglionose des distalen Colons auf. Für Sox10 identifizierte Zielgene umfassen diverse Myelin-Gene und die Rezeptor-Tyrosinkinase ErbB3 (in Gliazellen), sowie die Gene für den Transkriptionsfaktor MITF und für das Tyrosinase-verwandte Protein 2 (in Melanozyten). Eine ähnliche Symptomatik wie im heterozygoten Mausmodell wird auch bei Patienten mit Sox10-Mutationen beobachtet, die unter einer Kombination von Morbus Hirschsprung und Waardenburg-Syndrom (HSCR/WS) leiden. Einige der Patienten weisen zusätzlich zentrale und periphere Neuropathien auf.
Trotz enger Verwandtschaft zu Sox9 und Sox10 und sehr ähnlicher biochemischer Eigenschaften führt die Deletion von Sox8 im Mausmodell mit einer beobachteten Gewichtsreduktion nur zu einer geringen Symptomatik. Unsere Untersuchungen zeigen, dass Sox8 in vielen Geweben gemeinsam mit Sox9 und Sox10 vorkommt und gleiche Funktionen ausübt. Sein Verlust kann deshalb durch das verbleibende Sox9 oder Sox10 kompensiert werden. Derzeit zielen unsere Untersuchungen auf die molekularen Wirkmechanismen dieser Sox-Proteine und ihre wechselseitige Beeinflussung.
Das POU-Domänen Protein Oct-6 (auch als Tst-1 und SCIP bezeichnet) wird sowohl in Gliazellen als auch in Neuronen exprimiert. Während es in Gliazellen bisher nur im Kern beobachtet wurde, ließ sich Oct-6 in zentralnervösen Neuronen auch im Zytoplasma nachweisen. Wanderung zwischen Kern und Zytoplasma wird dabei durch das gleichzeitige Vorkommen eines Kernlokalisierungssignals und eines Kernexportsignals in der POU-Domäne von Oct-6 ermöglicht.
Gezielte Deletion des Oct-6-Gens der Maus führt zu einer vorzeitigen Arretierung der peripheren Gliazell-Differenzierung und damit verbunden zu einem Myelinisierungsdefekt im peripheren Nervensystem. Unsere Arbeitsgruppe konnte Oct-6 auch in Gliazellen des Zentralnervensystems entdecken. Im Gegensatz zu Schwannzellen, den Gliazellen des peripheren Nervensystems, exprimieren Oligodendrozyten des zentralen Nervensystems zusätzlich Brn-1 and Brn-2, zwei andere, nah verwandte POU-Domänen Proteine. Ihre funktionelle Redundanz mag erklären, warum trotz Deletion des Oct-6-Gens keine stärkere Störung der zentralnervösen Myelinisierung nachzuweisen ist. In einem Mausmodell haben wir das den offenen Leserahmen für Oct-6 durch den des nahe verwandten Brn-1 ersetzt. In diesen Mäusen wird nun an allen Stellen Brn-1 exprimiert, an denen normalerweise Oct-6 vorkommt. Trotz des Austauschs verläuft die Schwannzell-Entwicklung und Myelinisierung des peripheren Nervensystems normal, so dass zumindest in diesen peripheren Gliazellen beide POU-Domänen Proteine funktionell äquivalent sind.